Ich schreibe im Auto (January 2006)

Published at January 14, 2006

INTERVIEW MAX DAX

Interview in Die Tageszeitung 13.01.2006

David Sylvian war der Kopf der britischen Glamrock- und Synthiepop-Band Japan. Nach einigen Soloalben wurde es in den Neunzigern ruhig um ihn. Seine neue Band Nine Horses organisiert sich ber das Internet. Ein Gesprch ber den Segen moderner Technologie
INTERVIEW MAX DAX

taz: Mr. Sylvian, Sie waren als Snger Ihrer Band Japan eine der Ikonen der Achtziger. In den Neunzigern hrte man fast gar nichts von Ihnen. Man beachtet Sie wieder, seit Sie mit dem deutschen Elektronikfrickler Burnt Friedmann zusammengekommen sind.

David Sylvian: Am Ende ist alles ganz einfach: Ich mache jetzt seit Ewigkeiten Musik. Man muss sich selbst immer wieder aufs Neue Hrden stellen, die eigene Faszination am Lodern halten. Ich mchte nicht morgens aufwachen und keine Lust haben, das Studio zu betreten. Das hat gar nichts mit Melodien oder Songtexten zu tun, sondern mit dem Prozess des Musikmachens selbst. Es geht darum, Prozesse zu verndern, damit die Selbstsicherheit der Methode permanent in Frage gestellt wird. Es gibt nichts Schlimmeres als Methoden, die zur Gewohnheit werden. Und auf Burnt Friedmann bin ich gestoen, weil er seine CDs so eigenwillig verpackt: Man muss einen Aufkleber und somit das Cover zerstren, um an die Platte heranzukommen. Sehr abgefahren.

Cover zerstrt, Musik gehrt. Sie trafen den Deutschen, gemeinsam haben Sie mit der neuen Band Nine Horses und dem Album so etwas wie Ihren zweiten Frhling eingelutet.

Warum auch nicht? Ich war auf Anhieb gefangen von Friedmanns verschobenen Rhythmen. Warum? Ich htte nicht sagen knnen, ob seine Musik programmiert war oder von echten Musikern eingespielt. Das imponiert mir.

Sie leben in Boston, Friedmann in Kln. Wie kommt man da zusammen?

Bernd schickte mir Tracks ber das Internet. Ich steuerte Elemente hinzu. Letztlich musste ich feststellen, dass es nur eine andere Art ist zusammenzuarbeiten. Kollaborationen ber das Internet sind nicht weniger faszinierend, nicht weniger vielversprechend und mitnichten weniger hingebungsvoll. Wenn man die Musiker, mit denen man zusammenzuarbeiten beabsichtigt, sehr sorgfltig aussucht, kann man in der Regel sofort sagen, ob die Chemie stimmt oder nicht. Was ich an der distanzierten Arbeitsweise, die das Internet mit sich bringt, so mag, ist der Umstand, dass ich mir die im Entstehen begriffene Musik gewissermaen in meine Wohnung runterladen kann. Ich kann sie mir in meiner vertrauten Atmosphre anhren. Und da ist es mir freigestellt, ob ich mich daraufhin nur ein paar Stunden dieser Musik widme – oder gleich ein paar Wochen. In der eigenen Wohnung gibt es keine Grenzen und keine Zeitlimits. Meiner Meinung nach bekommt man von Menschen, die ebenfalls so arbeiten, in der Regel sehr, sehr hingebungsvolle Spuren.

Frher, meinen Sie, wre das so nicht gegangen?

Richtig. Gerade letzte Woche habe ich Saxofonimprovisationen zu einem Stck bekommen, an dem ich arbeite. Stunden von Saxofon – zu einem Song. ber das Internet. Es ist ein Reichtum, aus dem wir schpfen knnen – natrlich nur, wenn wir selber ebenfalls grozgig zu anderen sind. Musik entwickelt sich zu so etwas wie einer Parallelwhrung. Mit dem Wegfall der klassischen Rolle, die die Plattenfirmen eingenommen hatten – es gibt keine “Bank” mehr, die uns Musikern Geld gibt – haben wir oft nichts anderes als Musik, das wir uns gegenseitig anbieten knnen. Viele von uns geben die besten Performances – und vertrauen darauf, dass ihre Musik zu einem Erfolg beitrgt, an dem sie dann partizipieren. Die Rolle der Labels, die frher sehr darauf geachtet haben, wie sich ein Knstler positioniert, ist mit dem Wegfall der Zahlungen geschrumpft. Labels haben dieser Open Community, die von Australien ber Philadelphia bis Norwegen miteinander vernetzt ist, nichts mehr entgegenzusetzen. Jeder Musiker kann sich mhelos in diesen Austausch von Takten, Melodien und Soli einklinken. Das ist ein Jahrhunderte alter Traum von Generationen von Musikern. Diese Freiheit ist die eigentliche Schnheit des Internet-Zeitalters.

So, wie Sie ber die Entstehung von Musik reden, erinnert das an Beschreibungen von situativer Jazzmusik. Kommt daher jene sublime Jazzstimmung auf “Snow Borne Sorrow”?

Ehrlich gesagt haben wir das nicht geplant, es ist so entstanden. Sie mssen sich das so vorstellen: Ich bekomme von Burnt Friedmann Tonspuren, auf denen bestimmte Instrumente bestimmte Melodien spielen und auf diese Weise ein Song bereits eine bestimmte Form angenommen hat. Ich hre an Stellen Instrumente, an denen gar keine zu hren sind. Vielleicht gibt es noch nicht einmal die Freiflche, die muss erst frei arrangiert werden. Es ist vergleichbar mit dem Verspren eines Phantomschmerzes: Sie hren einen unfertigen Song, und Sie hren unmittelbar das Fehlende, die Leerstelle. So ging mir das oft mit Bernd, und so ging mir das mit der schwedischen Sngerin Stina Nordenstam. Deshalb sage ich auch: Wir sprechen die selbe Sprache. Tut man dies nicht, ist man verloren. Deshalb muss man eine Zusammenarbeit ja auch so behutsam beginnen. Ich bin ein gebranntes Kind. Ich wei, wovon ich rede.

Warum sind Sie eigentlich von England nach Amerika gezogen?

Das war keine wirklich bewusste Entscheidung. Ich bin eigentlich nur fr kurze Zeit nach New York gezogen, um mit Ryuichi Sakamoto eine Platte fertig zu stellen. Dort lernte ich meine zuknftige Frau kennen. Sie nahm mich mit auf eine Reise durch die Vereinigten Staaten, richtig durch den mittleren Westen. Unsere Reise endete in ihrem Haus in Minneapolis. Ich als Weltreisender war also in Minnesota gelandet.

Da hielt es Sie aber nicht lange.

Ich wre mit meiner Frau berall hingegangen, nach London, Irland, Italien. Aber wir endeten in Boston. Dort wurde mir dann endgltig klar: Ich lebe jetzt in Amerika.

Was fiel Ihnen dabei schwer? Die Sprache ja wohl nicht.

Die USA haben eine sehr materialistische Kultur. Das Streben der Amerikaner ist auf die Anhufung von Vermgen angelegt. Der Dollar ist der Mastab fr alles, was ein Amerikaner tut. Egal, ob Sie das Radio oder den Fernseher anschalten: Alles wird in Dollars gemessen. Als Saddam Hussein gefangen genommen wurde, lautete die alles entscheidende Frage: Und wie wird sich dieser Schlag auf den Dollarkurs auswirken? Ich empfinde dieses Kulturverstndnis als hochgradig korrupt. Also wurde ich immer selektiver. Ich guckte nicht mehr fern, ich entzog mich bewusst der Massenkultur.

Da mssen die neuen Kommunikationstechnologien fr Sie ja ein Segen gewesen sein.

So ist es! Zur gleichen Zeit durchleben die Amerikaner ja eine kulturelle Revolution, die darauf basiert, dass sich jedes Individuum seine eigene Kultur wie ein Satellitensystem um sich selbst herum zentriert. Fr mich ist das ein echter Segen! Bedenken Sie: Ich lebe jetzt bereits bestimmt fnf Jahre abseits des Trubels. Fr mich ist es ein Segen, mir mein eigenes Umfeld schaffen zu knnen. Statt vom Treiben auf der Strae bin ich vom Treiben auf der Welt beeinflusst.

Inwiefern haben Sie die Chance genutzt und sich selbst in Boston neu erfunden? Welche Details Ihrer Biografie haben Sie dort geschrft?

Ich mchte Ihnen widersprechen: Der Charakter, Ihre Psychologie ndert sich nicht, selbst wenn sie sonst wohin fahren. Ob Ihnen das gefllt oder nicht. Sie bleiben Sie selbst. Aber es war wie ein befreites Aufatmen, als ich London endlich hinter mir gelassen hatte. Die Menschen in Europa sind sehr sesshaft und ngstlich gegenber Vernderungen. Selbst wenn einem Menschen in Europa sein Wohnort, sein Beruf und sein Leben nicht gefllt, so zieht man dort nur selten den Schluss etwas zu verndern. Man sieht immer nur den Verlust: Man knnte das Gute im Schlechten verlieren, das Richtige im Falschen. Deshalb bleiben die Menschen in ihrem Haus oder ihrer Wohnung wohnen. In Europa. Statt zum Meer zu ziehen – oder in eine andere Stadt.

Sie haben Ihr Album “Snow Borne Sorrow” genannt – angeblich, weil Sie einen atmosphrischen aber ansonsten mglichst nichts sagenden Titel suchten. Damit sich keiner der teilgenommen habenden Musiker missinterpretiert fhlte.

Das ist absolut richtig. Einer der Aspekte, die mit dem Austausch von Musikdateien ber das Internet zusammenhngt, ist das Fehlen gemeinsamer Abende in der Kche. Man kann gar nicht wirklich herausfinden, ob man jenseits der Musik zusammenpasst oder zusammengehrt, ob man eine gemeinsame Philosophie hat. Man kann sie hchstens ahnen. Ich knnte Ihnen beispielsweise nicht sagen, wo Burnt Friedmann steht. Wir haben uns dreimal im Leben gesehen, wir haben nie einfach mal so geredet. Meine Freiheit habe ich mir also gewissermaen durch Ignoranz erschlichen.

Bernd Friedmann hat aus seinen drei Begegnungen mit Ihnen den Eindruck gewonnen, in Ihren Adern wrde blaues Blut flieen. Sie wirkten aristokratisch auf ihn.

(lacht laut) Was hat er noch gesagt?

Dass Sie meistens nur einen Take brauchen, um Ihre Texte einzusingen. Sie gehen ans Mikrofon, und alles sitzt.

Meine Texte entstehen oft sogar in einem Rutsch. Ich schreibe die Texte oft im Zuge des Aufnahmeprozesses. Oder im Auto. Ich schaue auf die vorbeiziehende Landschaft, whrend ich die noch gesanglose Musik anhre – und zack! ist wieder ein Songtext fertig.

Wie knnen Sie sich einen Songtext whrend einer Autofahrt merken?

Ein guter Text zeichnet sich dadurch aus, dass er folgerichtig ist. Wenn ich die erste Zeile habe, dann habe ich auch bereits die darauf folgende und so weiter. Ich muss dann nur kurz ranfahren und alles niederschreiben.

Wieso singen Sie auf “Snow Borne Sorrow” eigentlich von realen Vorfllen wie den Terroranschlgen vom 11. September 2001? Sie haben das frher nie gemacht.

Das hat tatschlich mit meinem Alltagsleben in den USA zu tun. Und auch eigentlich erst, seitdem die Bush-Administration im Amt ist. Seitdem habe ich das Gefhl, dass Musik insofern Menschen verndern kann, als dass sie bewusst Gefhle verndern kann. In diesem Sinne ist jedes Kunstwerk, also auch ein Song, der bewusst versucht, die Wahrnehmung zu verndern, ein politischer Akt. In diesem transformativen Akt liegt Schnheit. Ich glaube daran. Ich glaube auch, dass ein Kunstwerk hherwertig ist, wenn es genau diese Transformation einzuleiten vermag. Und wenn der Zuhrer bewusst offen ist fr diese Transformation, dann wird die Sache erst richtig spannend. Fr mich ist das die Macht der Kunst – ich glaube fest daran. Kunst vermag zu inspirieren.

taz vom 13.1.2006, S. 15, 359 Z. (Interview), MAX DAX

Original article on taz.de

©2024 davidsylvian.net | Privacy Policy

or

Log in with your credentials

Forgot your details?